Ankara - Die Verurteilung von mehr als 300 hohen Offizieren, darunter einer Reihe von Generälen, durch eine Istanbuler Strafkammer hat die Türkei geschockt. "Heute ist der Tag, an dem die türkische Armee am Ende ist", erklärte der Sohn des früheren Marinekommandeurs Özden Örnek mit finsterer Stimme im türkischen Fernsehen. Örnek war zusammen mit dem früheren Armeechef und angeblichen Rädelsführer Çetin Dogan und Luftwaffenchef Ibrahim Firtina wegen Putschversuchs zu 20 Jahren Haft verurteilt worden.

Auch wenn sich der Großteil der Türken der Meinung von Tolga Örnek wohl nicht anschließen mochte, ließ sich aus Kommentaren und Wortmeldungen in den Medien Verblüffung über das Ausmaß der Urteile und Unsicherheit über die Folgen ablesen. In mehreren Großstädten des Landes gab es am Wochenende öffentliche Protestkundgebungen gegen die Richterentscheidungen.

Die Verlesung des Urteils sollte am Freitagnachmittag erfolgen, begann aber erst am Abend. Das Gericht habe den Börsenschluss abwarten wollen, wurde gemutmaßt. Regierungschef Tayyip Erdogan und Mitglieder seines Kabinetts zeigten sich betont zurückhaltend. Erst müsse der Ausgang der Berufungsverfahren abgewartet werden, hieß es.

In dem fast zwei Jahre dauernden Gerichtsverfahren ging es um ein angebliches Planspiel der türkischen Militärführung mit dem Kodenamen " Vorschlaghammer". Im März 2003, nach dem Sieg der seither regierenden konservativ-religiösen AKP, soll dieser Plan zur Destabilisierung der Regierung bei einem Seminar in einer "Probe" durchgespielt worden sein.

Dass mehr als 160 hohe Offiziere einen Putschplan diskutiert haben sollen, schien Kritikern des Gerichtsverfahrens wenig plausibel. Das Belastungsmaterial der Anklage enthielt eine Reihe falsch datierter Ereignisse. Dies ließ den Schluss zu, das Material könnte gefälscht sein. Mehr als ein Dutzend weiterer Putschverfahren laufen noch. (mab, DER STANDARD, 24.9.2012)